Piet Blanckaert Gardens


29. Juli 2025,
Geschrieben von

Die Geschichte der Gartenkunst ist ein Forsetzungsroman, der von der Suche nach dem verlorenen Paradies handelt.

Wie kann man nach dem mythischen Sündenfall und der Vertreibung aus dem Garten Eden etwas von der geahnten Vollkommenheit zurückgewinnen? Wie lässt sich also die verblasste Erinnerung an ein vergangenes Ideal in eine utopische Projektion verwandeln, welche gegenwärtige Wirklichkeit wird? Das soeben im Hatje-Cantz-Verlag erschienene Buch über den belgischen Gartenarchitekten Piet Blanckaert ist so etwas wie eine Nachlass-Sichtung zu Lebzeiten. Walter Kayser hat es sich angesehen.

Piet Blanckaert wurde 1955 im Brügge geboren. Er baut seit mehr als 40 Jahren in ganz Europa, aber auch darüber hinaus, Gärten.

Mit seinem flandrischen Geburtsort hat der anerkannte Künstler einiges gemein. Ganz ähnlich wie seine Heimatstadt war Piet Blanckaert offen für alle erdenklichen Anregungen der reichhaltigen Gartengeschichte Hollands, Frankreichs, Italiens und vor allem Englands. Brügge, dieses „Venedig des Nordens“, hat längst das Image verloren, welches ihr um 1900 angehängt wurde, als mit dem Erscheinen des symbolistischen Romans „Bruges-la-Morte“ von Georges Rodenbach ein Kult entfacht wurde, der in der morbiden Atmosphäre dunkler Grachten unter Trauerweiden und verfallender gelber Sandsteinmauern schwelgte. Die reiche Handelsmetropole des 15. Jahrhunderts war dank ihrer Lage weltoffener Schnittpunkt in alle Richtungen. Es nahm Anregungen aus Frankreich, Burgund und den Niederlanden auf und stand geschäftlich auf das Engste mit den englischen Tuchzentren in Verbindung. Die UNESCO ernannte den mittelalterlichen Stadtkern von Brügge mit seinem Belfried, dem alten Marktplatz, der Heilig-Blut-Basilika, der Sint-Salvator-Kathedrale, den Tuchhallen und Beginenhöfen bereits vor einem Vierteljahrhundert zum Weltkulturerbe. Unerschöpflich anregend war auch für den Gartengestalter Piet Blanckaert stets aufs Neue die überreiche britische Gartentradition (- es spricht Bände, dass im „Königreich der Gärtner“ auch heute noch angeblich Jahr für Jahr 400 000 Bürger bei der Gartenarbeit verunglücken).

 Nach einer Lehrzeit in Gent und im dänischen Jütland, wo er 1979 auch seine Frau Anneke kennenlernte, gestaltete er zunächst den Garten seiner Mutter um. Mittlerweile hat er mehr als 30 andere allein in und um Brügge geschaffen und so der Heimatstadt zurückgegeben, was er ihr an Anregungen von früh auf verdankte.

Das Buch ist so aufgebaut, dass es das Lebenswerk dieses großen zeitgenössischen Gartenarchitekten nicht streng chronologisch dokumentiert. Die einzelnen Kapitel sind eher nach bestimmten Aufgaben und wechselnden Herausforderungen geordnet, mit denen sich ein moderner Gartenarchitekt konfrontiert sieht: die Größe eine Grundstücks, die Besonderheiten seiner landschaftlichen Lage, die Auseinandersetzung mit der dort angetroffenen Architektur, die Rücksicht auf einen alten Baumbestand oder die je nach Klimazone sehr unterschiedliche Vegetation. Ohne dass immer genau die Lokalität angegeben würde – schließlich sind die meisten Auftraggeber finanziell gut bemittelte und entsprechend auf Diskretion bedachte Privatleute -, wird zunächst in einem Bild aus der Vogelperspektive, wie es heute so leicht von mit Kameras bestückten Drohnen erstellt werden kann, eine reißbrettartige Übersicht über die gesamte Anlage gegeben. 

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Die durchweg vorzüglichen Fotografien wurden von dem Belgier Jean-Pierre Gabriel zu den unterschiedlichsten Jahreszeiten gemacht, um die Besonderheiten der 40  Gärten einzufangen. Die Texte wurden von der Engländerin Caroline Donald beigesteuert. Seit Jahrzehnten ist sie diesem Metier geradezu verfallen, war sie doch nicht nur zwanzig Jahre lang Redakteurin der Zeitung The Sunday Times, sondern auch gefragte Ansprechperson für den Daily Telegraph, House & Garden, Veranda und Country Life, wo immer es um das Thema Gardening ging.Außerdem gab sie einschlägige Bücher heraus, etwa The Generous Gardener von 2018, eine Sammlung von Interviews mit illustren Gartenbesitzern auf dem ganzen Globus.

Ein Gartenarchitekt hat von den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen auszugehen, die bestimmt sein können vom Alter und dem Architekturstil des Hauses, seiner Funktion und von den Gegebenheiten des landschaftlichen Terrains, in die hinein seine Ideen platziert werden. Denn jeder Garten, und sei es auch der naturgemäßeste in der Nachfolge der Englischen Landschaftsgärten (welche nur durch deinen „Aha-Graben“ von der großräumigen Umgebung getrennt sein wollten), ist ja zutiefst „künstlich“ im Sinne von „kultivierter Erde“. Hat doch hier das Wort „Kultur“ seinen etymologischen Ursprung, denn es geht bekanntlich auf das lateinische „colere“ zurück, was zunächst einmal „pflügen“ und „beackern“ bedeutet. – Zuvörderst steht also das Zurückdrängen einer menschenfeindlichen Wildnis und das entschiedene Setzen von Grundstrukturen, welche den zur Verfügung stehenden Raum gliedern und in verschiedene Kompartimente unterteilen. Welche Linien und Pfade werden gelegt? Wohin lenken sie den Blick, und wie beziehen sie sich auf den Wohnort oder markante Gegebenheiten des Geländes?

Es versteht sich, dass ein Gartenarchitekt wie Piet Blanckaert, sobald er hinzugezogen wird, gewisse Vorlieben der Besitzer ins beste Licht zu rücken hat. Wie jeder gute Architekt muss er deshalb ein Genie der Kommunikation sein. Das heißt, er hat mit großer Empathie auf die Bedürfnisse seiner Bauherren und Auftraggeber einzugehen und darf nicht im Sinn haben, sich selbst ein Denkmal zu setzen. Die einen sind Rosenliebhaber, die anderen haben Bienenfreundlichkeit und ökologische Vielfalt im Sinn oder sie legen primär Wert darauf, dass das große, spiegelnde Wasserrechteck ihres Pools zur Geltung komme. Hier hat der Gartengestalter auf einen alten Baumbestand Rücksicht zu nehmen, dort auf ein bestimmtes Farbspektrum, welches er wie ein Maler mit seiner Palette in delikaten Übergängen ausschöpfen soll. Von Anfang ist auch der Lichteinfall und das unterschiedliche Erscheinungsbild zu den verschiedenen Jahreszeiten genauestens einkalkuliert. Raum-Achsen lenken den Blick in bestimmte Richtungen, Wege werden von Wacholderalleen oder markierenden Buchskugelreihen begleitet.

In den kleingedruckten Seitenanmerkungen zu den den großartigen Fotografien (und später nochmals in einem Index ganz am Schluss des Buches) werden in der binären Nomenklatur, die seinerzeit Carl von Linné eingeführt hat, die exakten botanischen Angaben zu Familie, Gattung und Art aufgeführt. Denn natürlich interessiert jeden Gärtner, welche farbliche Wirkung sich mit welcher Rabattenbepflanzung erzielen lässt, ob es nun Zwiebelblumen sind, schöne, wenngleich nur einjährige, Blumen oder die ausdauernden „perennials“ (= Stauden), die in seinen mixed borders geschickt kombiniert werden.

 Die stattliche Ansammlung  an Gärten belegt: Piet Blanckert ist ganz offenkundig kein Avantgardist und Umstürzler in Sachen Gartenbau, sondern jemand, der sich in eine Tradition einschreiben will, welche er genauestens kennt. Sein Gartenstil verfügt über eine enorme Bandbreite, wenngleich er in der antinomischen Skala von strenger Form auf der einen Seite und natürlichem Wildwuchs auf der anderen, eindeutig mehr zu ersterer neigt. Da ist seine ausgesprochene Vorliebe für ummauerte horti conclusi, für immergrünen Taxus und Buchs, also Gehölze, mit deren Hilfe man dem Garten eine dauerhafte Gliederung, einen ruhigen Hintergrund oder lebendigen, Schatten spendenden Sichtschutz geben kann.

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Auf Flanderns Feldern
blühen die Mohnblumen
Zwischen den Kreuzen,
Reihe um Reihe,
Die unseren Platz markieren;
und am Himmel
Fliegen die Lerchen, immer noch tapfer singend,
Kaum zu hören zwischen den Gewehrschüssen unten.

Wir sind die Toten.[…]

Anlässlich der hundertjährigen Wiederkehr des 1. Weltkriegs, bekam Piet Blanckaert 2013/14 die herausfordernde Aufgabe gestellt, im Herzen von London, neben The Guards’ Chapel innerhalb der  Wellington Barracks, ein Mahnmal für die Gefallenen zu entwerfen. Die nicht eben große Anlage wurde seinerzeit von der Queen im Beisein des belgischen Königshauses insofern hochsymbolisch und ritualisiert eingeweiht, als hier von Schulkindern blutdurchtränkte Erde von den flandrischen Schlachtfeldern ausgeschüttet wurde. Im Zentrum ist das wohl bekannteste Kriegsgedicht englischer Sprache eingemeißelt, das die gefallenen Soldaten selbst sprechen lässt:

In Flanders fields the poppies blow
Between the crosses, row on row,
That mark our place; and in the sky
The larks, still bravely singing, fly
Scarce heard amid the guns below.
We are the dead […]

(Auf Flanderns Feldern blühen die Mohnblumen /Zwischen den Kreuzen, Reihe um Reihe, /Die unseren Platz markieren; und am Himmel /Fliegen die Lerchen, immer noch tapfer singend, /Kaum zu hören zwischen den Gewehrschüssen unten. Wir sind die Toten.[…])

Diese Verse wurden am 3. Mai 1915 von dem  Kanadier John McCrae verfasst. Anlass war der in der zweiten Ypern-Schlacht von einer Granate getroffenen Freund des Dichters. – Den tiefsymbolischen Zeilen und dem Pathos des Zeremoniells stellt Blanckaert auf kleinem Raum ein extrem schlichtes Design gegenüber: ein kreisförmiges Grasbett in einem an ein Grab erinnerndem Rechteck.
 

Erst eine derart gebaute Strenge verschafft allen anderen Designelementen die Möglichkeit zu größtmöglicher Entfaltung, würde er vermutlich sagen und dann womöglich auf die Notwendigkeit verweisen, dass auch Edelsteine erst recht zur Geltung kommen, wenn sie den nötigen Schliff und die richtige Fassung bekommen. Insofern ist Piet Blanckaert durchaus als Abkömmling der Topiarigärten der Renaissance und des Barock ansehen. Allerdings legt er sein Augenmerk nicht darauf, wie ehedem sämtliche Pflanzen durch komplizierte Schnitttechniken in geometrische Form zu zwingen und ihnen ein architektonisches, ornamentales oder figürliches Aussehen zu verleihen. Statt der geschwungenen „Broderies“ und labyrinthisch verschlungenen Muster kommt es ihm zuallererst auf Struktur gebende Klarheit an. Oft sehen seine Formschnittgehölze wie Spielfiguren auf einem Brett aus. Der luftige Freiraum zwischen abgerundet geschnittenen Zylindern schafft dann das, was das Paradox jeglicher Grenze ausmacht: das Ende eines Raums und zugleich auch seine Durchlässigkeit zu markieren.

 Sein durchgängiges Credo lautet: Ohne formale Strukturen kein romantischer Wildwuchs. Farb- und Blütenexplosionen gibt es nur hinter einengenden Wänden aus Hecken und Gehölzen aus Buchs, Taxus oder Eibe, welche mit ihren Wänden und Toren oder geometrischen Körpern für An-haltspunkte und Rhythmisierung sorgen; erst dann dürfen Kletterhortensien die grünen oder steinernen Mauern in Kaskaden von Blüten überspielen; Buschzonen aus Rhododendren in Rot- und Violetttönen schaffen einen graduell vermittelnden Übergang zwischen flachen bowling greens, sanft ansteigenden „meadows“ und den großen Kiefern eines Landschaftsgartens oder prächtigen Solitären im Hintergrund. – Piet Blanckaert – ein moderner Traditionalist.


Piet Blanckaert „Gardens“
Herausgegeben und fotografiert von  Jean-Pierre Gabriel
Texte von Caroline Donald

Hatje Cantz Verlag, Berlin
1. Edition 2024
Sprache ‏: ‎ Englisch
Gebundene Ausgabe, 336 Seiten

Gebundene Ausgabe in den Abmessungen von‎ 24.77 x 29.85 cm
ISBN-10 ‏: ‎ 3775757252
ISBN-13 ‏: ‎ 978-3775757256

Preis 44,77 €