Jagdgründe der Kunst. Eine andere Geschichte der Mimesis von Maurice Saß aus der Reihe Studien zur Kunst
22. Sep. 2025,
Geschrieben von PEACH
Der Autor Maurice Saß unternimmt einen Streifzug durch die Palette der Jagd und lenkt zugleich den Blick auf die Problematik der Darstellung in der Malerei.
In seinem Werk begibt er sich auf die Pirsch quer durch die Epochen der Kunstgeschichte und dies sehr detailreich. Die zahlreichen Abbildungen unterstreichen eine sich daraus ergebende Diskussion. Dabei werden die ethischen Gesichtspunkte erörtert und wie jene recht unterschiedlich in den Jahrhunderten erfahren wurden. Somit bietet sich ein äußerst weit gefächertes Bild der Beziehung zwischen Mensch und Tier in der Kunst. Daraus ergibt sich die Frage des Umgangs mit den Bildnissen der Vergangenheit und wie sehr diese aus heutiger Sicht problematisch wirkende Kunst in früheren Zeiten in völlig „anderem Licht erschien“ – oder etwa nicht? Hier zeigt sich die Jagd und ihre Abbildung als besonderes Genre der Kunst, die danach fragt, ob diese Symbiose zwischen Malerei und Natur Entscheidendes über den Menschen des jeweiligen Zeitgeschehens aussagen kann. Melanie Obraz hat die Spuren des Jagdgeschehens aufgenommen.
Die Jagd ist tief im Inneren des Menschen verwurzelt, spricht man doch auch von dem Jagdtrieb, als einem Instinkt, der dem Menschen das Überleben sichert(e). In heutiger Zeit sind wir nicht mehr darauf angewiesen uns selbst als Jäger:innen zu betätigen. Doch ernähren sich viele Menschen vom Fleisch der Warm-wie Kaltblüter. Im gleichen Atemzug ist aber auch von einer Ethik und Ästhetik, gleichsam von einem ethisch-ästhetischen Konglomerat zu sprechen. Die Fähigkeiten der Meister der Malkunst bringen jede Faser eines Tieres gekonnt auf die Leinwand, auf Holz oder etwaige andere Flächen. Das Tier erfährt eine Darstellung vor dem Tod, während des Todes und schließlich als getötete Kreatur. Farbenreich und geschickt sind die Tiere in ein Licht gesetzt, welches einer speziellen Beleuchtung gleicht, um eben jene Vorzüge der Gestalt der Kreatur zu verewigen. Darin verdeutlicht sich eine Kombination des Ethischen mit jenem Ästhetischen der Kunst. Womit sogleich die Frage gestellt ist, welche Art der Ästhetik damit zur Darstellung gelangt. Ist es eine Schönheit des Todes, der Vergänglichkeit?
Ein Tier wird „nachgeahmt“ und gelangt infolge jener Nachahmung als etwas Neues in den Blick der Betrachter:innen. Vom Wesen des Tieres wird das abstrahiert, was im Besonderen für die Charakterisierung kennzeichnend ist bzw. sein soll. Oft heroisch und in der dem Tier anberaumten Natur gemalt, besteht die Wirkung in vielen Schattierungen, die von königlich-heroisch bis zu schutzbedürftig und gefoltert reicht und in der Malweise der Künstler in Erscheinung tritt. Wie das Tier nun genau dargestellt wurde ist stets im Zusammenhang mit dem jeweiligen Jahrhundert zu sehen, in welchem der Künstler es erschaffen hat. So zeigen sich Unterschiede hinsichtlich der Darstellungen im 20., 19. Jahrhundert zu jenen des Mittelalters, der Renaissance und des Barock. Auf jeden Fall wird stets ein Schein vermittelt, welcher sich einer „Wahrheit“ entzieht.
Ganz in diesem Sinne wendet der Autor seinen Blick auf einen Zwischenbereich, der sich eben nicht ausschließlich auf die Kunst bezieht, sondern den sehr weiten – teilweise ausufernden und kaum noch zu definierenden – Bereich des Kulturellen umfasst. Dahingehend wird auch die Landschaftsmalerei miteinbezogen, die viele Darstellungen der Jagd umfasst, womit sich eindrucksvoll die Schnittstelle ergibt, dass die Landschaft eben als Kulturlandschaft mit Tieren belebt ist, um als eine kultivierte Landschaft genutzt zu werden. Alles scheint somit auf den Menschen als Herrscher über die Natur zugeschnitten. Dabei zeigt die Kunst wie sehr der Mensch alles um sich herum in eine Kultur zerrt, um Vorteile für das Leben bzw. Überleben zu sichern.
So wird einerseits betont, wie Tiere als Portraits allein im Mittelpunkt des Bildes stehen, wie andererseits auch Jäger selbst im Bildnis mit den Tieren und oft direkt auf der Pirsch das Bild quasi in Symbiose mit dem Tier ausfüllen.
Ernst Resch Jagdrast schlesischer Adliger (um 1841) (c) Schlesisches Museum zu Görlitz ©Wikimedia
Sir Edwin Landseer (1803-73) – Queen Victoria at Loch Laggan – RCIN 403119 – Royal Collection
Fuchsjagd, Hirschjagd, Großwildjagd jede erdenkliche Form der Jagd war Gegenstand der Kunst und lässt die Betrachter:innen jeweils an einen Ausschnitt des jeweiligen Kulturlebens teilnehmen. Die unterschiedliche Darstellung zeigt sich darin, dass das Tier sowohl als stillstehendes Objekt abgebildet ist wie auch in der Bewegung gemalt wird, je nachdem wie eine spezielle Charakterisierung des Tieres vom Maler gewollt in Szene gesetzt wird. Die Grausamkeit, welche den Tieren durch die Jagd widerfuhr, kann an Hand der Darstellung der Gliedmaßen oder auch der Kopfhaltung ausgemacht werden. Um diese Teilnahme auch wirklich zu erleben, ist es notwendig die Hintergründe und die gesellschaftlichen Gegebenheiten der jeweiligen Epoche zu kennen. Auch dies wird in eindrucksvoller Weise von Maurice Saß mit seinem Werk zu den Jagdgründen der Kunst geleistet.
Vielseitig präsentiert sich das Tier durch (fast) alle Epochen und sogar die Legende um das erlegte Rotwild Cäsars wird angesprochen, wie überhaupt der dynastische Aspekt in diesem Buch eminent wichtig ist. Die Geweihsammlungen in den Schlössern wie Fontainebleau stehen stellvertretend für diese Art der Ästhetik. Maurice Saß bezieht viele Maler mit ein und stellvertretend seien hier genannt die Tierdarstellungen von Carl Spitzweg als Sonntagsjäger um 1841/48, Matthäus Merian d.J. in „anthropomorpher Landschaft“ um 1650, Pietro Longhis „Jagd auf Wasservögel“ um 1770, Ernst Resch, welcher die „Jagdrast schlesischer Adliger“ 1841 auf die Leinwand bringt, Lucas Cranach d.J., der mit „Toter Hirschkuh mit Kopfstudie“ um 1544 vertreten ist, Georg Adam Eger, mit dem „Battenberger 32-Ender“, das als Aquarell 1765 ein Tier stolz und dennoch in einer gewissen Zartheit portraitiert bis zu Gustave Courbet und „La curée“ 1856, den Tierdarstellungen von Sir Edwin Henry Landseer (1802-1873) und hin zu Frieda Kahlo mit dem Bildnis „Der verletzte Hirsch“ (1946).
Sozialkritische Einwände melden sich sogleich und werden auch aufgegriffen, zumal sich die Jagd als gesellschaftliches Ereignis durch das Elitäre auszeichnet(e). So war das vormals allen Menschen zustehende Jagdrecht ab dem frühen Mittelalter (schon um das 6. Jh.) einer elitären Schicht, dem Adel vorbehalten. Den einfachen Bauern war im 16. Jahrhundert nur die Jagd auf Füchse, Hasen und auf Vögel erlaubt. Machten sie Jagd auf Hirsche, so begingen sie Jagdfrevel. Die sich ereignenden gesellschaftlichen Veränderungen lassen sich demzufolge ebenso an der Darstellungsweise der Jagd und der dazu gehörenden Szenerie demonstrieren. Der Blick des Künstlers auf das Tier und auch die sich daraus ableitende Beziehung, werden ebenso thematisiert wie der sich daraus ergebende mögliche Blick der Betrachter:innen. Die wechselseitige Bezugnahme zwischen Tier und Mensch bezeugt, dass der Mensch dem Tier nicht grundsätzlich überlegen ist, nur weil es bejagt wird. Ein Kapitel des Buches trägt auch aus diesem Grund die Überschrift: „Fatale Allianz. Jagd und Tiermalerei“ . Spektakel, Vergnügen, Gewalt und Tragik stehen in einem fest verwobenen Netz ineinander verschlungener Sichtweisen auf die Jagd und die Rolle, welche sich die Kunst in eben jenem Kontext gab.
Carl Spitzweg: Der Sonntagsjägerr (um 1845) ©Wikimedia
Gustave Courbet La Curée 1856 (c) Museum Fine Arts Boston ©Wikimedia
Das Buch verlangt nach sehr aufmerksamen Leser:innen, die den jeweiligen Zeitabschnitt als besonderes Zeitgeschehen mit in die Betrachtung und auch Bewertung des Gesehenen miteinbeziehen.
Dem heutigen Publikum mag dabei manches brutal, überhöht oder gar grausam anmuten. Doch ist zu bedenken, dass immer mehr junge Menschen heute die Jagd entdecken und zwar aus ethischen Gründen. Im Hintergrund steht folgendes Argument: Tiere zu essen, die man selbst getötet, erlegt hat, zeuge davon, Verantwortung zu übernehmen. Der nicht zu umgehende Tötungsauftrag wird nicht abgegeben, sondern selbst ausgeführt. Kann man auf diese Weise „Einswerden“ mit der Natur und der Kreatur? Werte, die in der Tradition verhaftet sind, scheinen immer mehr auch den heutigen Menschen für die Jagd zu interessieren. Achtsames Töten der Tiere – geht das und war das auch in der Vergangenheit möglich?
Im Buch von Maurice Saß sind es jene Jagdgründe, die mit den Augen der Kunst angesehen werden und gerade darin eine Verdichtung und Quintessenz erfahren, die uns heute den Einblick gewährt, um sich eines vorschnellen Urteils hinsichtlich der Jagd und der Jäger zu enthalten und stattdessen reflektierend den Jagdgründen der Kunst eine Chance zu geben. Mimesis ist hier auch als „Transgression weg von der Natur und hin zum Bild“ zu verstehen. Dennoch oder gerade deshalb sind folgende Aussagen im Schlusskapitel des Buches von besonderer Wichtigkeit: So schreibt Sir Edwin Henry Landseer: „…Wer frohlockte an Ort und Stelle nicht über den Tod eines prächtigen Hirsches – wo man sich doch eigentlich des Mordes schämen sollte?“ In ähnlicher Weise ließ der Tiermaler Joseph M. Wolf verlauten: „Jäger haben kein Verlangen über irgendeine Sache etwas zu wissen. Ihr einziges Verlangen besteht darin, es zu töten.“ Darf als Fazit gelten, dass Kunst und Jagd also in einer gewissen „Komplizenschaft“ zueinander stehen?
Titel: Jagdgründe der Kunst. Eine andere Geschichte der Mimesis von Maurice Saß aus der Reihe Studien zur Kunst
Autor: Maurice Saß
Sprache: Deutsch
688 Seiten, mit 234 farb. Abb.
Böhlau Verlag Köln, 1. Auflage, 2024
ISBN: 978-3-412-53060-0