Rezensionen

Christine Demele (Hrsg.): Dürer under your skin. Tattoo Art. Michael Imhof Verlag / Ausstellung: Albrecht-Dürer-Haus, Nürnberg. Bis 13 Oktober 2024

Die Werke des Albrecht Dürer (1471- 1528) - einmal anders in den Blick genommen. Dies könnte ein Motto sein, um das Buch vom Imhof Verlag „Dürer under your skin“ zu charakterisieren. Dürers weltberühmte Werke schmücken die angesagtesten und angesehensten Museen weltweit und damit nicht genug, finden sie doch ebenso auf dem menschlichen Körper einen geeigneten Platz. Es sind nicht die Originale, aber es sind die Kopien dieser einzigartigen Werke, welche die Ausdruckskraft in eminenter Weise als Tattoo ausstrahlen und zwar stets in anderer und neuer Weise, zumal jeder Körper das Tattoo anders aufnimmt und den Betrachtern:innen einen immer wieder neuen Einblick gewähren. Dürer der Meister alter Kunstwerke, erfährt durch eine sehr alte Kunstfertigkeit eine erneute Auferstehung ganz eigener Art. Kunst trifft hier sehr detailliert auf Kunst, denn längst hat sich das Tattoo als Kunst etabliert. Melanie Obraz folgte den Dürer-Tattoos.

Cover © Michael Imhof Verlag
Cover © Michael Imhof Verlag

Der Einfluss Dürers auf die Tattookunst der Gegenwart ist nicht zu übersehen, tragen doch beispielsweise Justin Bieber und Selena Gomes das Bildmotiv der Betenden Hände. Ein Künstler der Renaissancezeit ist omnipräsent in unserer schon ohnehin mit Bildern überfluteten Welt. Doch Dürers Bilder sind nicht nur als ein MEHR zu sehen, sondern beweisen, dass das Besondere seiner Kunst zu einer weiteren Transformation angetreten ist. Ein längst vergangenes Zeitalter lebt wieder auf und zeigt uns die Lebenswelt des Künstlers. Es ist die Welt wie Dürer sie sah und in seinen Werken verewigte. Diese seine Arbeiten werden hier von den Tattookünstlern – im wahrsten Sinne des Wortes neu belebt, ist doch der lebende menschliche Körper die Grundlage. Sicher, die Bilder des großen Meisters geraten hier anders als das Original. Warum? Nun, die Haut die Körperform der Menschen, die jenes Tattoo tragen verändert die Oberfläche aufgrund des Atmens, des Bewegens der Haut, der Muskulatur und demzufolge geraten die Bildnisse zugleich auch in Schwingungen und verändern sich. Die Tattookünstlerin Maud Dardeau äußert sich detailliert zu ihren Arbeiten rund um das Phänomen Albrecht Dürer.

Blick ins Buch © Michael Imhof Verlag
Blick ins Buch © Michael Imhof Verlag


Wäre der große Meister empört, seine Werke auf der menschlichen Haut zu sehen? Bestimmt nicht! Höchstwahrscheinlich sähe er darin ein probates Mittel seine Kunst weiter zu tragen und auch als Reklame für sich und sein Ego. Nicht zuletzt war Dürer sehr darauf bedacht, sein von ihm ersonnenes Emblem als Logo unter seine Werke zu bringen. Doch heute wird ihm mit jedem Tattoo ein gesondertes Logo zusätzlich geschenkt. Kann man auch anderer Meinung sein und die betenden Hände doch eher dem sakralen Raum zuordnen? Ein Diskussionspunkt, doch andererseits wird auf diese Weise das Beten in die Alltagswelt gebracht, ja fest verankert und bezeugt so eine Religiosität, die von den Trägern:innen und Betrachter:innen vielleicht erst im Nachhinein verinnerlicht wird. Damit bezeugt sich einmal mehr die Komplexität der Kunst und ihre schillernden Möglichkeiten der Vermittlung. Zudem trifft sich das Eigenartige des Tattoos mit jenen Neuerungen der speziellen Sichtweise, die Dürer in seine Zeit brachte. Damit zeigen sich zwei Auffassungen des Aufbegehrens in und mit der Kunst, die sich ergänzen und gegenseitig erweitern.

© Michael Imhof Verlag
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Blick ins Buch © Michael Imhof Verlag
Blick ins Buch © Michael Imhof Verlag


Der Feldhase, - übrigens an den unterschiedlichsten Stellen des menschlichen Körpers eingeritzt und beispielsweise variationsreich von Alina Sorg interpretiert, das Rhinoceros, das Männerbad, die Fortuna, die Nemesis, der Reiter (Ritter, Tod und Teufel), Sol Justitia (Die Sonne der Gerechtigkeit) sogar „Mein Agnes“ von Tattookünstler Maxime Plescia-Büchi und viele andere Motive wie der heilige Georg zu Fuß, welcher zugleich das Titelbild des die Ausstellung begleitenden Buches/Kataloges ziert, bezeugen darüber hinaus auch die Lebenseinstellung der Träger:innnen. Wie stehen sie zur Kunst allgemein und warum haben sie sich für die Werke des großen deutschen Künstlers entschieden. Die Tattookunst wirft hier zugleich Fragen auf, die eine Diskussion in Gang setzt, die verdeutlicht, dass die Vergangenheit immer auch ein Teil der Gegenwart bleibt. Auch die Tatsache, dass es sich um Ausschnitte der Bildwerke Dürers handelt, macht klar, wie sehr sich die Tattookünstler:innen und auch die Träger:innen mit den Werken und ihrer spezifischen Umsetzung beschäftigt haben. Als Beispiel sei die Aussage der Tattooträgerin Sylvia B. herausgestellt, denn sie bekundet „Eine Hommage an Albrecht Dürer soll mein Körper sein“. Beeindruckend und offen auch die Aussage einer an Krebs erkrankten Tattooträgerin, die vielsagend den Taschenkrebs, der Albrecht Dürer zugeschrieben wird, als Bild auf ihrem Körper trägt. Ebenso wird in bunt der Flügel einer Blauracke des Tattookünstlers Sven Herrmann präsentiert. Stets zeigt sich in den Übertragungen auf die menschliche Haut ein Aspekt der Reziprozität.

© Michael Imhof Verlag
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Doch Tätowierungen sind keine Neuheit, sondern zieren die Menschen schon seit vielen hundert – sogar seit mehreren tausend – Jahren. Auch die Tatsache, dass sich Pilger bereits im Mittelalter, heilige Bilder in die Haut einritzen ließen, deuten auf die lange Tradition. Sehr hilfreich ist auch, dass die unterschiedlichen Techniken des Tattoos gleich zu Beginn auf den ersten Seiten des Buches erklärt werden, so dass den Lesern:innen und Betrachtern:innen die Arbeit am Tattoo als Kunst vorgestellt wird und nicht nur als ein Handwerk. Kunst trifft hier wahrlich auf Kunst.

Blick ins Buch © Michael Imhof Verlag
Blick ins Buch © Michael Imhof Verlag


Jede Seite liegt in englischer (Fettdruck) und deutscher Sprache vor. Der Katalogteil weist darüber hinaus die Besonderheit auf, dass jedem einzelnen deutschen Satz sogleich die englische Übersetzung in Fettdruck beigegeben ist. Ebenso ist die Aufmachung des Buches bedeutsam, da die Farbe Rot extensiv zum Einsatz kommt. Alle Überschriften – auch jene des Titelbildes - wie auch das eingangs angeführte Dürerzitat aus dem Entwurf zum Lehrbuch der Malerei: „Ich meine, ich will hier ein kleines Feuer entzünden. Wenn Ihr alle mit Eurer Kunstfertigkeit dazu beitragt, dann kann mit der Zeit ein Feuer daraus geschürt werden, das durch die ganze Welt leuchtet“, ist ROT unterlegt. Alles weist hier darauf hin, dass die Werke Dürers als Signal gesehen, angenommen und (weiter-) verarbeitet werden. Es gibt keinen Stillstand in der Kunst, alles ist uns in einer Fluktuation gegeben, sogar die Werke der alten Meister. Die Druckgrafik entsteht erneut durch das Engraving, jener Technik des Tattoo, wodurch die „Linien druckgrafischer Medien“ nachgeahmt werden sollen. Über 300 Fotografien wurden an das Museum gesendet und stehen einmal mehr für das übergroße Interesse weltweit. Um die 100 ausgewählten fotografischen Arbeiten dokumentieren schließlich jene Tattoo-Interpretationen der Werke Dürers und veranlassen so die Besucher:innen zu höchst eigenen Sichtweisen, auf das stets zu entdeckende Neue bei den sogenannten alten Meistern. Die Verlängerung der Ausstellung bis zum 13. Oktober ist der Beweis dafür, dass das Interesse an Dürer und seiner Zeit exorbitant ist.

Titel: Dürer under your skin. Tattoo Art
Herausgeber:in: Christine Demele / Museen der Stadt Nürnberg
Schriftenreihe der Museen der Stadt Nürnberg, Band 27
Michael Imhof Verlag
Sprache: Deutsch, Englisch
ISBN 978-3-7319-1418-1

Ausstellung: Albrecht-Dürer-Haus, Nürnberg. Bis 13 Oktober 2024

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