Rezensionen

Massimo Mariani: Das Licht in der Kunst. Reimer Verlag

Das Licht macht die Farben erst für das Auge erkennbar und bietet so die Möglichkeit, die Exponate der Kunst zur Geltung zu bringen, ja überhaupt durch unser Auge als Farbe wahrgenommen zu werden. Es geht einmal nicht nur um die Exponate der Kunst, sondern vor allem um die Grundlage aller Wahrnehmung. Ohne das Licht sehen wir keine Farben, alles ist dunkel und versinkt in einer Welt des nicht Differenzierbaren. Das Licht erweckt quasi das Auge. Damit zeigt der Künstler Massimo Mariani wahrlich das Licht als Lichtgestalt, ohne welche die Kunst nicht bestehen könnte. Das im Reimer Verlag veröffentlichte Werk fasziniert mit einem Querschnitt durch die Epochen, der vom Licht geprägten Kunst(-geschichte). Melanie Obraz ist jenem Faszinosum des Lichtes gefolgt.

Cover © Reimer Verlag
Cover © Reimer Verlag

Gleiche oder ähnliche Sujets unterschiedlicher Künstler aus den Epochen der Kunstgeschichte, erfahren in diesem dem Licht gewidmeten Werk, mannigfaltige Interpretationen. Schon das Cover präsentiert in Ausschnitten drei Werke weltbekannter Künstler -Michelangelo Merisi da Caravaggios Berufung des heiligen Matthias (1599-1600), Jan Vermeers Dienstmagd mit Milchkrug ‚Milchgießerin‘ (1658-1660) und William Turners Ansicht von Venedig – Dogana und San Giorgio Maggiore (1834).
Ausgehend von Echnaton und Nofretete bis hin in die Gegenwart führt uns der Autor sogar in die Zukunft des Lichtes in der Kunst. Lichtstrahlen sind so das Zeichen des Lichts, um auf die Kraft jenes wärme- und helligkeitsspendende Potential der Natur aufmerksam zu machen. Aus diesem Grunde beginnt das Werk mit der Stele des Echnaton (14. Jh. v. Chr.), mit welcher die Lichtstrahlen zum Zentrum einer religiösen Thematik erhoben wurden. Somit gelingt auch die Überleitung und Erwähnung des Heiligen Lichtes im Christentum. Das Licht wird dort als etwas Heiliges verehrt, weshalb der Autor ein Zitat des heiligen Bonaventura einfügt: „Wie das Licht, so ist Gott die Schönheit aller Dinge. Denn eigentlich ist Gott selbst das Licht, und jener Dinge, die sich am meisten zu ihm hinwenden, besitzen am meisten von der Natur des Lichts.“ Später bei Annibale Carracci „steigt das Licht nicht mehr direkt aus dem Göttlichen nieder“ und erhellt das Bild in völlig anderer Weise.

Paul Signac, Capo di Noli, 1898, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln © Wikimedia Commons
Paul Signac, Capo di Noli, 1898, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln © Wikimedia Commons

Als Grundlage und äußerst informativ wird Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Farbenlehre vorgestellt, die sich obwohl gut 100 Jahre später als jene von Sir Isaac Newton (1643-1727), auf die antiken Denker wie Empedokles, Platon und Aristoteles bezieht. Stellte Newton vormals darauf ab, das Licht als eine Zerlegung in Spektralglauben aufzuschlüsseln, ging es schließlich um die Heterogenität des weißen Lichts, so stellte Goethe darauf ab, das Licht als Phänomen zu erfassen. Ein „Staunen und Wundern“ ist für Goethe hier entscheidend, um das Licht zu charakterisieren. Die Sichtweise Goethes fand schließlich auch besondere Empathie des Physikers Werner Heisenberg. So stellt Mariani hier die gegensätzlichen Standpunkte prägnant heraus und deutet zugleich die mannigfaltigen Möglichkeiten einer jeden Interpretation des Lichts. Das Experiment Newtons wie Goethes kann jeweils umgedreht werden und dabei zeigt sich einmal mehr, dass nicht nur ein Standpunkt entscheidend auf eine Sichtweise einwirkt. Die Wirkungen des Lichtes sind die Farben?!

Rembrandt, Die jüdische Braut, 1665–1669, Rijksmuseum, Amsterdam © Wikimedia Commons
Rembrandt, Die jüdische Braut, 1665–1669, Rijksmuseum, Amsterdam © Wikimedia Commons

Stellvertretend zeigt sich Vermeers Milchgießerin. Bei Vermeer avanciert die „intensive Leuchtkraft des Bildes“ zum speziellen Thema, was sich an dem Weiß der Milch und wie es in den Krug hineinzufließen scheint verdeutlicht. Der Künstler setzt damit eine unspektakuläre Handlung, die sich in vielen Haushalten abspielen dürfte, in eine prägnante vom Licht inszenierte Darstellung. Darüber hinaus scheint sogar die Zeit im Bild auf eine Weise angehalten zu sein, die durch das Licht gesteuert wird. In ähnlicher Weise widmet sich der Autor eines Bildes von Samuel van Hoogstraten, welches den Titel „Die Pantoffeln“ trägt. (um 1654-1662) Räumliche Tiefe wird hier mit dem Rautenmuster der Fiesen und vor allem durch „das Spiel von Licht und Schatten erreicht“. Darüber hinaus erweist der Autor dem Bild eine Interpretation, welche er in Sherlock Holmes‘ Manier den Lesern:innen darlegt.
Auch die Aufgabe des Betrachters:in erhält so eine neue Dimension und Qualität, kommt es doch darauf an, die Lichtquelle speziell wahrzunehmen. Des Weiteren ist das Spiel mit Licht und Schatten bedeutsam, da sich hier Blickpunkte ergeben, die im Besonderen die Farbwirkung beeinflussen. Der Autor beschreibt auch aus diesem Grunde sehr ausführlich, die Technik der Malweise der jeweiligen Künstler. Hier ist sogar der Bogen in der Weise gespannt, dass der Bezug zu Kasimir Malewitsch (1879-1935), zur Street Art (ab 1968) und zu heutiger Kunst angesprochen wird.

Wassily Kandinsky, Gelb-Rot-Blau, 1925, Centre Georges Pompidou, Paris © Wikimedia Commons
Wassily Kandinsky, Gelb-Rot-Blau, 1925, Centre Georges Pompidou, Paris © Wikimedia Commons

Fulminant wird die Arbeit mit und um das Licht bei Caravaggio (1571-1610) geradezu zelebriert und vom Autor als etwas bezeichnet, wodurch das Licht zu etwas Konkretem werde. In dieser Weise betont Mariani, Caravaggio als Denjenigen, welcher den künstlerischen Arbeiten der großen Meister wie Ribera, Vermeer, La Tour und Rembrandt basal sei. So setzt sich die Faszination des Hell-Dunkel-Effektes durch die Jahrhunderte weiter fort und berührt die Betrachter:innen der Werke stets aufs Neue. Sehr interessant sind ebenso die Ausführungen zu der Kunstgattung Stillleben und Licht und wie es bei Giacomo Ceruti um 1750 zur Geltung gelangt.

Caravaggio, Die sieben Werke der Barmherzigkeit, 1607, Kirche Pio Monte della Misericordia, Neapel © Wikimedia Commons
Caravaggio, Die sieben Werke der Barmherzigkeit, 1607, Kirche Pio Monte della Misericordia, Neapel © Wikimedia Commons

Die Problematik des Lichtes vom unbestimmten Punkt und dem Fehlen von Licht, wird ebenso aufmerksam erwähnt wie die Geschichte, die sich demzufolge auch in ethischer Hinsicht zeigen kann, womit die hintergründige und oft philosophisch-soziologische Seite des Kunstwerks zur Darstellung gelangt. Denn damit erweist sich plötzlich das alltägliche Leben als etwas, welches der Kunst würdig und sogar äußerst wichtig ist. So erwähnt der Autor den „Triumph des alltäglichen Lebens“ in der Kunst.
Tiepolo, Turner, Lorrain und Monet werden von Mariani in exponierter Weise vorgestellt. Die Wirkmächtigkeit vom Spiel mit dem Schatten, welcher sich krass im Gegensatz zu stark beleuchteten Partien im Bild verhält wie auch langgestreckte Schatten, die eine Atmosphäre der Morgen- oder Abenddämmerung erzeugen, deuten auf die vielfältigen schöpferischen Handhabungen des Lichtes. Widmete sich William Turner (1775-1851) doch dem stets so „wandelbaren Charakter“ des Lichts in so hingebungsvoller Weise, so ist es doch nur folgerichtig, dass jene Lichtthematik geradezu im Impressionismus zu explodieren scheint, wie es sich eindrucksvoll in den Bildern Monets den Betrachtern:innen kund tut. Seine Seerosen stehen – wie es Claude Monet (1840-1926) ausdrückte - für „die Illusion eines endlosen Ganzen, eines Wassers ohne Horizont und ohne Ufer“. Die Kunstrichtung des Impressionismus bekundet den Betrachtern:innen der Werke mit Vehemenz, hier geht es in erster Linie um das Licht und darum, ein Gefühl für jenes Phänomen zu entwickeln. Lässt sich der Autor auch dazu hinreißen von einem „muffigen Klassizismus“ zu sprechen, so geschieht dies wohl vor allem darum, die moderne Ästhetik als eine „Darstellung der Bewegung und Geschwindigkeit des modernen Lebens“ zu charakterisieren.

Georges de La Tour, Das Neugeborene, um 1648, Musée des Beaux-Arts, Rennes © Wikimedia Commons
Georges de La Tour, Das Neugeborene, um 1648, Musée des Beaux-Arts, Rennes © Wikimedia Commons

Ein Bild entsteht nicht nur durch die Hand des Künstlers, sondern vor allem durch das Licht, welches stets irgendwie für uns da ist, ohne dass wir es als das Licht direkt sehen. Das Licht ist eben da. Wir sehen mit, durch, infolge des Lichtes. Die Nuancierung eines Bildes, zeigt sich in den Nuancen des Lichtes. Der Autor Massimo Mariani stellt so auch einige seiner Werke zur Lichtmetaphorik und die dazu gehörenden Bildbearbeitungen vor. Darin zeigt sich erneut, die vom Licht ausgehende Kraft als etwas nicht nur physikalisch Einzigartiges. Das Buch besticht durch seine reichhaltige Bildauswahl und ist überaus lehrreich, ohne belehrend zu sein.

Titel: Das Licht in der Kunst
Autor/Autorin: Massimo Mariani
Übersetzung: Martina Kempter
Verlag/Hersteller: Reimer, Dietrich
200 Seiten mit 245 Farb- und 7 s/w-
ISBN - 9783496016601

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