Ausstellungsbesprechungen

Paris 1863 - 1874. Revolution in der Kunst. Vom Salon zum Impressionismus; Wallraf-Richartz-Museum & Foundation Corboud, Köln bis 28. Juli

1874 gilt allgemein als „offizielles” Geburtsjahr des Impressionismus. Hundertfünfzig Jahre Impressionismus also – für manch jubiläumstrunkenes Museum ein besonderer Grund zum Feiern. Abgesehen von kleineren Ausstellungen, die sich auf Teilaspekte beziehen (etwa „Monet und die impressionistische Stadt“ in der Alten Nationalgalerie in Berlin und „Monet and London. Views of the Thames“, beide ab Ende September) sei hier an erster Stelle die große, gerade zu Ende gehende Schau „Paris 1874. Inventer l'impressionnisme“ (Erfindung des Impressionismus) im Pariser Musée d’Orsay erwähnt, die an den Aufbruch fortschrittlicher Künstler in ein neues Zeitalter, das Zeitalter der Moderne, erinnert (anschließend in der National Gallery of Art in Washington). Sie setzt Gemälde der Impressionisten mit solchen von Künstlern in Beziehung, die zur gleichen Zeit im offiziellen „Salon“ reüssierten und lässt erahnen, wie sehr damals die Malerei des Impressionismus die tradierten Sehgewohnten des Publikums irritierte. Konzeptionell ähnlich angelegt ist die noch bis zum 28. Juli laufende Schau „Paris 1863 · 1874. Revolution in der Kunst. Vom Salon zum Impressionismus“ im Wallraf-Richartz-Museum & Foundation Corboud in Köln, die die Frühgeschichte des Impressionismus von der sogenannten Salonkunst bis hin zum „entscheidenden Jahr“ 1874 thematisiert. Rainer K. Wick berichtet.

inks: Berthe Morisot, Junge Frau am Fenster, 1869, National Gallery of Art, Washington rechts: Berthe Morisot, Der Hafen von Nizza, 1881/82, Wallraf-Richartz-Museum & Foundation Corboud, Köln Fotos © Rainer K. Wick
inks: Berthe Morisot, Junge Frau am Fenster, 1869, National Gallery of Art, Washington rechts: Berthe Morisot, Der Hafen von Nizza, 1881/82, Wallraf-Richartz-Museum & Foundation Corboud, Köln Fotos © Rainer K. Wick

Vom 15. April bis zum 15. Mai 1874 fand in Paris, 35, Boulevard des Capucines, im ehemaligen Studio des Fotografen Gaspard-Félix Tournachon, bekannter unter dem Pseudonym Nadar, die erste Gruppenausstellung der Impressionisten statt. Bei ihrer Eröffnung firmierte sie noch als „Première Exposition“ der „Société anonyme des artistes peintres, sculpteurs, graveurs, etc.“ – der Name „Impressionisten“ wurde für einige der ausstellenden Künstler:innen erst etwas später üblich. Zusammengeschlossen hatten sich in der „Société anonyme“ dreißig Künstler:innen im Sinne einer genossenschaftlichen Selbsthilfeorganisation als Reaktion auf die Tatsache, dass ihnen von der akademisch orientierten, konservativen Jury regelmäßig die Teilnahme am offiziellen „Salon de Paris“ verwehrt worden war. Um die Proteste der zum Salon nicht zugelassenen Künstler zu neutralisieren, hatte der französische Kaiser Napoleon III. zwar im Jahr 1863 im Rahmen einer pseudo-liberalen Initiative den sogenannten „Salon des réfusés“ ins Leben gerufen, um den ausjurierten „Zurückgewiesenen“ trotz ihrer Ablehnung die Möglichkeit zu bieten, ihre Arbeiten öffentlich zu präsentieren, doch war dies nicht der Ort, an dem sich die allmählich formierende impressionistische Bewegung hätte angemessen in Szene setzen können. Mit der Ausstellung im einstigen Atelier des Fotografen Nadar, gelang dann – jenseits der bestehenden Institutionen, unabhängig und selbstbestimmt – der Aufbruch der Pariser Avantgarde in ein neues Zeitalter der Kunst. Mit den Daten 1863 und 1874 sind also die Eckpunkte markiert, zwischen denen die Kölner Ausstellung operiert. Das bedeutet, dass es sich nicht um eine klassische Impressionismus-Ausstellung handelt, sondern darum, die Entwicklung „vom Salon zum Impressionismus“, so der Untertitel der Schau, nachzuzeichnen. Dass damit Neuland betreten würde, wird niemand behaupten wollen. Natürlich ist der Impressionismus nicht gleichsam vom Himmel gefallen, auch begann er nicht erst mit Claude Monets 1872 gemalten, legendären Bild „Impression. Soleil levant“, das erst 1874 öffentlich gezeigt wurde. Das alles ist hinlänglich bekannt und lässt sich in der einschlägigen Fachliteratur detailliert nachlesen. Nur zur Erinnerung: Monets skizzenhaft gemalte „Impression“ zeigt eine Partie des Hafens von Le Havre bei aufgehender Sonne im Morgendunst und genießt seit 150 Jahren zu Recht gleichsam den Status eines Programmwerks des Impressionismus. Schade nur, dass dieses Bild, das der ganzen Richtung den Namen gab, in der Kölner Ausstellung nicht zu sehen ist.

Leider fehlen auch andere Schlüsselwerke des in den 1860er Jahren sich allmählich entwickelnden Impressionismus. So vermisst der Besucher etwa Édouard Manets „Frühstück im Grünen“ und mehr noch die „Olympia“, beide 1863 gemalt, beide aus dem Pariser Musée d’Orsay und dort im Jubiläumsjahr „150 Jahre Impressionismus“ selbstredend unabkömmlich – zwei Meisterwerke des Künstlers, die seinerzeit auf heftige Kritik stießen und als Skandalbilder in die Kunstgeschichte eingingen. Vor allem Manets „Olympia“ hätte ein ideales Gegenstück zu der in Köln ausgestellten „Geburt der Venus“ von Alexandre Cabanel aus dem Jahr 1863 (übrigens auch aus dem Musée d’Orsay) sein können, um den Quantensprung von der offiziell anerkannten akademischen Salonmalerei zur heraufziehenden Kunst der Moderne zu verdeutlichen.

Alexandre Cabanel, Geburt der Venus, 1863, Musée d’Orsay, Paris, Foto © Rainer K. Wick
Alexandre Cabanel, Geburt der Venus, 1863, Musée d’Orsay, Paris, Foto © Rainer K. Wick

Cabanels Schaumgeborene entsprach perfekt dem vorherrschenden französischen Kunstgeschmack des Zweiten Kaiserreichs – ein der antiken Mythologie entlehntes Thema fern der alltäglichen Realität, ein in süßlichen Farben gefällig gemalter Frauenakt, darüber schwebend nackte Putten, alles von einer penetranten Künstlichkeit. Nur am Rande sei erwähnt, dass der Künstler mit diesem Bild im Salon des Jahres 1863 einen Riesenerfolg feierte und dass Kaiser Napoleon III. das Gemälde für seine Privatsammlung erworben hat. Im Unterschied zu Cabanels „Venus“ löste Manets „Olympia“, die im selben Jahr gemalt und zwei Jahre später,1865, im Salon gezeigt wurde, gleichermaßen bei der Kritik wie beim Publikum einen Sturm der Entrüstung aus, der sowohl das Sujet als auch die Malweise betraf. Anders als Cabanel stülpte Manet seiner liegenden Aktfigur kein „mythologisches Deckmäntelchen“ über, so die Kuratorin der Kölner Schau Barbara Schaefer, sondern agierte ganz und gar im Hier und Jetzt: Dargestellt ist ein typisches Geschöpf des damaligen „modernen Lebens“ in der französischen Hauptstadt, nämlich eine unbekleidete Luxusprostituierte, die den Betrachter direkt, ja herausfordernd, anschaut und der eine schwarze Dienerin den Blumenstrauß eines Verehrers überbringt. Was damals im Fall der Venus Cabanels an Erotik umstandslos goutiert wurde, galt bei Manets Olympia als scham- und sittenlos und löste Stürme der Empörung aus. Und auch die gegen akademische Standards verstoßende Malmanier Manets, die als flach und schattenlos gerügt wurde, stieß verbreitet auf Ablehnung. So wurde die nackt auf dem Bett Liegende, mit der Manet übrigens direkt an Tizians „Venus von Urbino“ anknüpfte, als „leichenfahl“, als „Odaliske mit dem gelben Bauch“ und als ein „schwarz umrandetes Skelett in einer Zwangsjacke aus Gips“ beschimpft.

Édouard Manet, Der tote Torero, 1864, National Gallery of Art, Washington, Foto © Rainer K. Wick
Édouard Manet, Der tote Torero, 1864, National Gallery of Art, Washington, Foto © Rainer K. Wick

Trotz negativer Kritiken bis hin zur Ridikülisierung hat sich Manet regelmäßig um die offizielle Anerkennung durch den Salon bemüht, so auch im Jahr 1864, als er ein großformatiges Bild mit dem Titel „Episode aus einem Stierkampf“ einreichte, das künstlerische Einflüsse von Velázquez und Goya erkennen ließ und der seinerzeit in Paris florierenden „Spanienmode“ („Manière espagnole“) durchaus hätte entgegenkommen können. Stark bemängelt wurde allerdings die Komposition des Gemäldes, so dass Manet nach dem Ende des Salons die Leinwand zerschnitt und nur zwei Teile behielt – die Kölner Ausstellung zeigt das zentrale Motive des im Vordergrund auf dem Boden liegenden „Toten Torero“: ein Meisterstück kultiviertester, von Schwarztönen dominierter Malerei und „eine allgemeingültige Darstellung für den ‚modernen‘ toten Krieger“, anders als in der offiziellen Salonmalerei nicht „Teil eines Narrativs“ […], sondern eine isolierte und bezwingende Wiedergabe des Todes, ein Symbol“, wie die Kuratorin Barbara Schaefer formuliert. Dass Manet diese Figur später noch einmal „recycelt“ hat, wird am Ende dieses Beitrags kurz zur Sprache kommen.

Henri Fantin-Latour, Ein Atelier in den Batignolles, 1870, Musée d’Orsay, Paris, Foto © Rainer K. Wick
Henri Fantin-Latour, Ein Atelier in den Batignolles, 1870, Musée d’Orsay, Paris, Foto © Rainer K. Wick

Während die späteren Impressionisten Édouard Manet immer als ihren Anführer betrachtet und ihn als solchen verehrt haben, hat er sich selbst – obwohl er seit Mitte der 1870er Jahre hinreißende impressionistische Bilder gemalt hat – nicht als Impressionist verstanden und auch nie gemeinsam mit den jüngeren, vom Salon zurückgewiesenen Freilichtmalern ausgestellt. Ein eindrucksvolles historisches Dokument der ihm zugemessenen Führungsrolle bietet die Kölner Schau mit dem berühmten Bild „Ein Atelier in den Batignolles“ von Henri Fantin-Latour aus dem Jahr 1870. Dieses konventionell gestaltete, im Salon desselben Jahres ausgestellte Gruppenportrait zeigt Éduard Manet in einem (seinem?) Atelier im Pariser Stadtviertel Batignolles, wo damals zahlreiche Künstler lebten und arbeiteten. Manet sitzt malend an der Staffelei und porträtiert offenbar den ebenfalls sitzenden Kunstkritiker, Dichter, Komponist, Maler und Bildhauer Zacharie Astruc, der zu den frühesten Verteidigern der Kunst Manets gehörte. Dahinter erscheinen stehend von links nach rechts der Maler Otto Schloderer, ein Deutscher, der sich von 1868 bis zum Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870 in Paris aufhielt, dann Auguste Renoir, daneben der Kunstkritiker und Schriftsteller Émile Zola, der sich publizistisch nachhaltig für Manet einsetzte, gefolgt von Renoirs Freund und Förderer Edmond Maître und die Maler Frédéric Bazille und Claude Monet. Mit Bazille und insbesondere mit Renoir und Monet erhalten hier zentrale Gestalten des französischen Impressionismus ihren Auftritt im unmittelbaren Umkreis Manets, was dessen herausragende Bedeutung für die neue Bewegung nachdrücklich unterstreicht.

Jean-Paul Laurens, Papst Formosus und Stephan VII., 1870, Foto © Rainer K. Wick
Jean-Paul Laurens, Papst Formosus und Stephan VII., 1870, Foto © Rainer K. Wick

Die Kölner Ausstellung zeigt eine exemplarische Auswahl dessen, was in Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert offiziell als besonders bildwürdig und „salontauglich“ galt, nämlich Motive aus Mythologie, Religion und Geschichte, auch allegorische Darstellungen und Porträts. Neben dem oben erwähnten Cabanel begegnet man beim Rundgang durch die Säle den Namen seinerzeit arrivierter Künstler, die mit ihren maltechnisch perfekten und thematisch akademiekonformen Bildern den üblichen Standards entsprachen und damals hohes Ansehen genossen – etwa Gérôme, Baudry, Bouguereau und anderen. Zu jenen Malern, die um die Jahrhundertmitte entschieden gegen den Konservatismus der Akademiker aufbegehrten, zählten Gustave Courbet, Galionsfigur des französischen Realismus, von dem in Köln zwei Bilder zu sehen sind, die allerdings nicht zu dessen Spitzenwerken gehören, sowie Jean François Millet, der sich wie Courbet unter anderem sozialer Themen annahm und einer der Mitbegründer der sogenannten Schule von Barbizon war, die im Frankreich des 19. Jahrhunderts der impressionistischen Pleinair-Landschaftsmalerei die Bahn ebnete. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch Camille Corot, Théodore Rousseau und Charles-François Daubigny, die in der Ausstellung mit jeweils einer Arbeit vertreten sind.

links: Eugène Boudin, Der Hafen von Camaret bei gewittrigem Himmel, 1873, Palais des Beaux-Arts de Lille rechts: Claude Monet, Der Strand von Sainte-Adresse, bei grauem Wetter, 1867, The Art Institute of Chicago  Fotos © Rainer K. Wick
links: Eugène Boudin, Der Hafen von Camaret bei gewittrigem Himmel, 1873, Palais des Beaux-Arts de Lille rechts: Claude Monet, Der Strand von Sainte-Adresse, bei grauem Wetter, 1867, The Art Institute of Chicago Fotos © Rainer K. Wick

Genannt sei ferner Eugène Boudin, der zwar nicht dem Barbizon-Kreis zuzurechnen ist, mit seinen Motiven aus der Normandie und von der Kanalküste aber einen nicht unmaßgeblichen Einfluss auf die Freilichtmalerei Claude Monets ausübte. Davon zeugt in der Kölner Schau etwa Monets Gemälde „Der Strand von Sainte-Adresse bei grauem Wetter“ von 1867, das erst neun Jahre nach seiner Entstehung in der zweiten Impressionisten-Ausstellung 1876 öffentlich gezeigt wurde. Boudin nahm ab 1859 regelmäßig am Pariser Salon teil, 1874 stellte er gemeinsam mit den Impressionisten im ehemaligen Fotostudio Nadar aus – ein Künstler also, der mit dem einem Bein im etablierten Kunstbetrieb zu Hause war, mit dem anderen aber im Lager der Progressiven stand.

links: Claude Monet, Frauen im Garten, 1866/67, Musée d’Orsay, Paris rechts: Frédéric Bazille, Fischer mit Wurfnetz, 1868, Arp Museum Bahnhof Rolandseck/Sammlung Rau für UNICEF   Fotos © Rainer K. Wick
links: Claude Monet, Frauen im Garten, 1866/67, Musée d’Orsay, Paris rechts: Frédéric Bazille, Fischer mit Wurfnetz, 1868, Arp Museum Bahnhof Rolandseck/Sammlung Rau für UNICEF Fotos © Rainer K. Wick

Monet war, anders als Manet und auch Renoir, kein Maler des Figurativen, sondern hat sich als Meister großartiger impressionistischer Landschaften in die Kunstgeschichte eingeschrieben. Insofern stellen die erhaltenen Fragmente seiner Leinwand „Frühstück im Grünen“ von 1865/66 und sein großformatiges Gemälde „Frauen im Garten“ von 1866/67 (255 x 205 cm), das das Wallraf-Richartz-Museum aus dem Musée d’Orsay ausleihen konnte, Ausnahmen von der Regel dar. Mit dem Figurenbild „Frauen im Garten“ hoffte der Künstler auf offizielle Anerkennung, doch wurde ihm von der Jury die Zulassung zum Salon des Jahres 1867 verweigert. Weder konnte Monet mit dem alles andere als „bedeutsamen“ Sujet punkten, einer alltäglichen Szene mit vier Frauen in zeittypischer Sonntagskleidung in einem sommerlichen, sonnendurchfluteten Garten mit kräftigen Schattenpartien, noch mit der unkonventionellen, abgesehen von den Faltenwürfen und Stoffmustern meist skizzenhaft lockeren Malweise, die der Tatsache geschuldet war, dass der Maler – anders als die akademischen Salonkünstler – nicht im Atelier, sondern im Freien gearbeitet hatte. Es ist überliefert, das Monet dazu im Garten einen Graben angelegt hatte, um darin die Riesenleinwand mit Hilfe eines Flaschenzugs versenken zu können, wenn er sich an den oberen Partien des Bildes zu schaffen machte. Uns Heutige mag dieses frühe Gemälde des Künstlers eher konventionell erscheinen, ähnlich wie auch Frédéric Bazilles „Fischer mit Wurfnetz“ von 1868 – hier lässt sich der Eindruck, dass eine im Atelier erarbeitete, eher akademisch anmutende Studie eines männlichen Rückenakts etwas bemüht in eine impressionistische Flusslandschaft implantiert wurde, sicherlich nicht ganz von der Hand weisen –, bei damaligen Zeitgenossen konnten derartige Werke aber durchaus Befremden auslösen.

links: Alfred Sisley, Brücke von Hampton Court, 1874, Wallraf-Richartz-Museum & Foundation Corboud, Köln rechts: Alfred Sisley, Schnee in Louveciennes, 1874, Sammlung Hasso Plattner  Fotos © Rainer K. Wick
links: Alfred Sisley, Brücke von Hampton Court, 1874, Wallraf-Richartz-Museum & Foundation Corboud, Köln rechts: Alfred Sisley, Schnee in Louveciennes, 1874, Sammlung Hasso Plattner Fotos © Rainer K. Wick

Die Kölner Ausstellung zeigt Landschaftsgemälde etwa von Camille Pissarro und Alfred Sisley aus der zweiten Hälfte der 1860er Jahre in gedeckter, toniger Farbigkeit, die vom strahlenden, lebendigen Kolorit impressionistischer Lichtmalerei noch weit entfernt sind. Erst um und nach 1870 begann sich die Palette der Maler und Malerinnen – unter den Künstlerinnen ist vor allem Berthe Morisot zu erwähnen – deutlich aufzuhellen, und die Fixierung flüchtiger Seheindrücke auf der Leinwand bei wechselnden Lichtverhältnissen und Wetterbedingungen führte zu jenen spontanen bildnerischen Niederschriften und oft wie zufällig wirkenden Bildausschnitten, die zu Markenzeichen des Impressionismus als „Eindrucksmalerei“ wurden. Mit der Gruppenausstellung des Jahres 1874 im einstigen Atelier Nadar war der Impressionismus gewissermaßen zu sich selbst gekommen, bei der achten und letzten gemeinsamen Ausstellung 1886 hatte die impressionistische Bewegung ihren Zenit bereits überschritten.

Erklärtes Ziel der Kölner Schau ist es zu zeigen, dass das Heraufkommen des Impressionismus in Frankreich nicht isoliert und gleichsam als gradlinige oder unilineare Entwicklung zu verstehen ist, sondern sich im Spannungsfeld zwischen Akademie und Avantgarde, zwischen Tradition und Innovation vollzog. Ja mehr noch, es geht der Kuratorin Barbara Schaefer darum, die Entwicklung des Impressionismus in den übergreifenden zeitgeschichtlichen Kontext des Zweiten Kaiserreichs, der urbanistischen Umgestaltung und Erneuerung der französischen Kapitale, des Deutsch-Französischen Kriegs, der Pariser Kommune und der Dritten Republik einzubetten. Das ist ein ambitioniertes Projekt, für das die Ausstellung selbst leider kaum Exponate bietet.

links: Narcisse Chaillou, Rattenverkäufer, während der Belagerung von Paris 1870, 1871, Musée Carnavalet, Paris rechts: Édouard Manet, Bürgerkrieg, 1871, Wallraf-Richartz-Museum & Foundation Corboud, Köln Fotos © Rainer K. Wick
links: Narcisse Chaillou, Rattenverkäufer, während der Belagerung von Paris 1870, 1871, Musée Carnavalet, Paris rechts: Édouard Manet, Bürgerkrieg, 1871, Wallraf-Richartz-Museum & Foundation Corboud, Köln Fotos © Rainer K. Wick

Zu den wenigen Ausnahmen gehört ein erschütterndes, kleinformatiges Ölbild des Genremalers Narcisse Chaillou, auf dem ein junger „Gelegenheitsmetzger“ (Barbara Schaefer) zu sehen ist, der während der monatelangen Belagerung der französischen Hauptstadt durch die Deutschen im Jahr 1870, die in Paris zu einer schweren Hungersnot führte, Ratten schlachtete und zum Verkauf anbot. Und die Gräuel des Bürgerkrieges, der nach dem Sturz Napoleons III. zwischen der anti-royalistischen Pariser Kommune und französischen Regierungstruppen tobte und mehr als zehntausend Opfer forderte, hat Édouard Manet um 1871 in der eindrucksvollen Lithografie „Guerre civile“ thematisiert, die man durchaus in der Tradition der „Desastres de la guerra“ von Francisco de Goya sehen kann: im Hintergrund zerstörte Gebäude, im Mittelgrund die Überreste einer Barrikade, im Vordergrund ein gefallener Soldat – eine seitenverkehrte Wiederholung der Figur des „Toten Toreros“ von 1864 – sowie am rechten Bildrand angeschnitten die Beine und Füße eines getöteten Zivilisten. Inwieweit es sich um eininterHintergrund eruinnert Statement zugunsten der einen oder anderen Partei oder um ein generelles Votum gegen Krieg und dessen tödliche Folgen handelt, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls ist es interessant zu sehen, dass Manet sich im Unterschied zu den meisten politisch eher abstinenten Impressionisten künstlerisch mehrfach mit brisanten zeitgeschichtlichen Ereignissen auseinandergesetzt hat, am prominentesten im Bild „Die Erschießung Kaiser Maximilians“ von 1868/69, das sich heute in der Kunsthalle Mannheim befindet.

Zum Schluss ein Blick in das umfangreiche, sorgfältig erarbeitete, genau recherchierte und ansprechend gestaltete Katalogbuch, das im angesehenen Kölner Wienand Verlag erschienen ist: Abgesehen davon, dass im eigentlichen Katalogteil die ausgestellten Werke ganzseitig abgebildet und einzeln kommentiert werden, leisten zahlreiche Aufsätze ausgewiesener Autor:innen erfreulicherweise jene intendierte zeithistorische Kontextualisierung, die beim Rundgang durch die Ausstellung nicht immer ganz deutlich wird. Neben dem Einführungstext der Kuratorin der Schau und Herausgeberein des Buches, Barbara Schaefer, findet der Leser Beiträge, die sich mit der Rolle der Pariser Kunstakademie in den Jahren 1863 bis 1874 (Dominique Lobstein), der Gruppenbildung der Impressionisten im selben Zeitraum (Daniel Zamani) und der Kunstkritik und dem Kunsthandel in Paris um 1870 (Peter Kropmanns) befassen. Und im Hinblick auf die Einbettung in die größeren zeitgeschichtlichen Zusammenhänge sei auf die folgenden Beiträge hingewiesen: „Umbruch und Kontinuität. Paris im Zweiten Kaiserreich 1852-1870“ von Esther da Costa Meyer, „Vom Kaiserreich zur Republik. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 und die Pariser Kommune“ von John Milner und „Die Unterdrückung des Impressionismus: Haussmannisierung, Kunst im Zweiten Kaiserreich und die Salons des réfusés“ von Fae Brauer. Abgerundet wird die Lektüre durch einen Aufsatz über den Anteil ausländischer Künstler am Pariser Kunstgeschehen der damaligen Zeit (Laurent Cazes) und durch einen Beitrag über die Malerinnen Berthe Morisot, Éva Gonzalès, Mary Cassatt und Marie Bracquemond (Frances Borzello), die zu den bedeutendsten Impressionistinnen in Frankreich gehörten und von der feministischen Kunstgeschichte gern als Vorzeigefrauen und Vorkämpferinnen der Frauenbewegung reklamiert werden.

Katalogbuch
Paris 1863 · 1874
Revolution in der Kunst
Vom Salon zum Impressionismus
hrsg. v. Barbara Schaefer
Wienand Verlag, Köln
ISBN 978-3-86832-778-6

Cover © Wienand Verlag
Cover © Wienand Verlag

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns