Rezensionen

Kia Vahland: Caspar David Friedrich und der weite Horizont. Insel Verlag

War das nötig, noch ein weiteres Buch im Caspar-David-Friedrich-Jahr? – Doch was ist schon nötig im Reich des Schönen?, so mag man sogleich kontern. Es bedarf keiner weiteren Rechtfertigung, Schönheit ist sich Grund genug, weist sie doch über sich hinaus, indem sie Sehnsüchte und Glücksversprechen weckt. Das gilt für Musik, Landschaften, für ein anmutiges Gesicht genauso wie für Gemälde oder gut gemachte Bücher. Walter Kayser zeigt sich jedenfalls von dem kleinen, feinen Buch am Rande der derzeit großen Ausstellungen erbaut.

Cover © Insel Verlag
Cover © Insel Verlag

Die handlichen und sorgsam gestalteten Insel-Bändchen sind seit den Tagen Anton Kippenbergs als ästhetische Sammlungsobjekte begehrt und somit ein Inbegriff erlesener Buchkunst für die private Hausbibliothek. Kia Vahland hat in den letzten Jahren schon eine Handvoll von gelungenen Essays in Sachen Kunstgeschichte diesem berühmten alten Flaggschiff beigesteuert. Und ihr Inselbändchen mit der Nr. 1535 zeigt, sie versteht einfach das Handwerk des eingängigen Sachbuchjournalismus. Nicht umsonst geht es im Jahr des Erscheinens nun schon in die dritte Auflage. Kunstvermittlung als »das Einfache, das schwer zu machen ist«, wie es Bert Brecht in ganz anderem Zusammenhang pries. Neben Lehraufträgen an verschiedenen deutschen Universitäten hat die Verfasserin genau dies an der Deutschen Journalistenschule in München weiterzugeben versucht.

CFD: Das Eismeer, 1823-24 (Hamburger Kunsthalle) @ Wikimedia Commons
CFD: Das Eismeer, 1823-24 (Hamburger Kunsthalle) @ Wikimedia Commons

Wenn auch die Abbildungen unmöglich den in feinsten Lasuren geschichteten Gemälden gerecht werden können, so ist ihr Buch anlässlich des 250. Geburtstages des großen Romantikers gleichwohl eine Bereicherung für jeden interessierten Laien. Der Aufbau ist geschickt: In einem Vorwort wird zunächst auf den Aktualitätsbezug abgehoben, indem sie zwischen den Gewaltexzessen der Revolutionsumbrüche, dem Verdüsterungsgefühl der nachnapoleonischen Restaurationszeit und der bleiernen Stimmung der Gegenwart eine Parallele zieht. Und am Schluss erzählt die Verfasserin in einem Kapitel mit der Überschrift »Neue Horizonte« von kürzlichen Begegnungen, welche wie nebenbei neue Sichtweisen namhafter zeitgenössischer Forscher:Innen vorstellen, oder sie berichtet darüber, wie die Arbeit der Restaurator*Innen uns zwingen sollten, das herkömmliche Bild von dem Koloristen Friedrich zu revidieren. So setzt sie einen Rahmen, in welchem sie unter der Überschrift »Alte Horizonte« dann Leben und Werk des großen Malers Revue passieren lassen kann. Sie tut das unaufdringlich, klar und informativ. Im Tempus des historischen Präsens versteht sie es, immer wieder leichthin Akzente zu setzen, die aufhorchen lassen. Die Metapher vom öffnenden »Horizont«, der auch in den Gemälden des Romantikers mal weit oder auch hoch angesetzt ist, wird so auch zum Sinnbild ihres eigenen Sprachstils, der unterschiedliche Aspekte wie mühelos einzufangen weiß. Wir erfahren von der Herkunft des Malers, seiner zutiefst protestantischen Prägung. Da gab es auf Rügen einen merkwürdigen Pastor namens Ludwig Gotthard Kosegarten, der für knorrige Eichen schwärmte, für Hünengräber der Vorzeit, für das Meer im Mondschein und den Fischern am liebsten unter freiem Himmel von einem Gott predigte, der in jedem Windhauch zu spüren sei. Wir erfahren von den traumatischen Schicksalsschlägen der Kindheit, dem frühen Tod der Mutter und dem tragischen Tod des Bruders Christoffers 1787, der Caspar David nach einem Eiseinbruch rettete und dabei selbst ertrank. Beides brachte vermutlich im Winter 1801 den wortkargen Sonderling zu einem Suizidversuch, von dem ihm ein vernarbter Messerschnitt am Hals blieb, welchen er fortan hinter einem wild buschigem Bart zu verbergen trachtete. - Und zeigt sich nicht tatsächlich das typisch protestantische Zurückgeworfenwerden auf die subjektive Innerlichkeit, das allem äußerlichen Prunk Abholdsein in Friedrichs Landschaften, die radikal entleert, sozusagen ausgeräumt sind und den Einzelnen mal um mal Demut vor einer entgrenzten, außermenschlichen Sphäre leeren wollen? Horizonte sind ja grundsätzlich stabilisierende Orientierungslinien, aber bei Friedrich sind sie oft genug aufgelöst.

CFD: Wiesen bei Greifswald, 1821-22 (Hamburger Kunsthalle) © Wikimedia Commons
CFD: Wiesen bei Greifswald, 1821-22 (Hamburger Kunsthalle) © Wikimedia Commons

Die Grenze zwischen Irdischem und Überirdischem ist verwischt von Dunstschwaden und Nebelmeeren. Welches Gemälde hätte Vahland da besser exemplarisch an den Anfang ihrer Betrachtungen setzen können als den berühmten »Mönch am Meer« aus der Alten Nationalgalerie in Berlin? Wo sonst könnte die Radikalität deutlicher werden, mit der sich Friedrich von den lieblich gebauten gestaffelten Szenerielandschaften abkehrte, in denen die Augen nicht satt davon werden, von einem Detail zum nächsten zu wandern? Hier dagegen ist der Maßstab des Menschlichen gegenüber dem Übersinnlichen gänzlich mit dem Horizont verloren gegangen. (Neuerliche Röntgenaufnahmen konnten tatsächlich belegen, wie jede zentrierende Tiefenperspektive und jede Gegenständlichkeit, an die man sich halten könnte, systematisch im Laufe des Malprozesses weggenommen wurden.) In den berühmten Rezensionen der Dichterkollegen treffen Goethe und sein Antipode Kleist diese bis heute schockierende Radikalität weitaus mehr als Achim von Arnim und sein Schwager Clemens Brentano. Hatte der Weimarer Dichterfürst aus Unverständnis den Nagel auf den Kopf getroffen, indem er polemisch bemerkte, die Bilder dieses Malers »könnten ebensogut auf dem Kopf gesehen werden«, so griff Kleist gar zu dem unerhört gewaltsamen Sprachbild: »So ist es, wenn man es betrachtet, also ob einem die Augenlider weggeschnitten wären«.

CFD: Kreidefelsen auf Rügen, 1818 (Museum Oskar Reinhart) © Wikimedia Commons
CFD: Kreidefelsen auf Rügen, 1818 (Museum Oskar Reinhart) © Wikimedia Commons

Friedrichs subjektive Stimmungslandschaften suchen als Zielpunkt die Unendlichkeit, nicht die Wiedergabe des Realen. »Ein Bild muss nicht erfunden, sondern empfunden sein«, lautete sein Credo. Sind die Bilder deshalb nicht realistisch, sondern reine im Atelier synthetisierte Traumgesichte? Sind die Gebirgskreuze, ruhenden Schiffsmasten, Anker, aufgehenden Mondsicheln Ausdruck lutherischer Frömmigkeit - oder ist die pantheistische Naturfrömmigkeit nur eine wichtige Etappe auf dem Weg zur völlig säkularen Welt? Oder sind die toten Bäume, die abgestorbenen Eichen und Schneelandschaften nicht doch politisch als Ausdruck einer nationalen Perspektivlosigkeit in den nachrevolutionären Kriegswirren zu verstehen? Sind die Freundesgruppen mit der durch die Karlsbader Beschlüsse inkriminierten altdeutschen Tracht und ihren Baretts stummer Protest gegen den restaurativen Geist - oder sollte man in ihnen doch eher Repräsentanten einer frühindustriellen, auffällig städtisch gekleideten Oberschicht sehen, welche die Natur nicht mehr als Arbeitswelt, sondern als Projektionsraum und ästhetisierte Gegenwelt versteht? War Friedrich gar ein Urahn der gegen die Naturzerstörung rebellierenden »letzen Generation«? ...Und die vielen Rückenfiguren im Vordergrund: Konnte er schlichtweg keine Figuren malen? Verstellen sie den ungetrübten Ausblick in die Ferne oder leiten sie idenfiktorisch zu ihrer andächtigen Betrachtung an? Will Friedrich mehr als den imaginierten Landschaftsraum das Sehen selbst darstellen? - Kia Vahland ist klug genug, um die älteren Sichtweisen eines Werner Hofmann oder Börsch-Supan nicht gegen die neueren eines Werner Busch oder Johannes Grave auszuspielen. Es handelt sich um Akzentverschiebungen, welche herkömmliche Interpretationen nicht überflüssig machen. Letztlich sind die Bedeutungshorizonte dieses nach Dürer vielleicht größten deutschen Malers zu offen und vieldeutig.

Da es der Verfasserin auf bewundernswerte Weise gelingt, den Leser mit dieser Erkenntnis zu entlassen, ist auch dieser kleine Beitrag zum Jubiläumsjahr eine Bereicherung, die man nicht missen möchte.

Titel: Caspar David Friedrich und der weite Horizont
Autor:in: Kia Vahland
Insel Verlag, Berlin
Fester Einband, 108 Seiten
Sprache: Deutsch
Format (B x L): 12.1 x 18.5 cm, Mit zahlreichen farbigen Abbildungen
ISBN : 978-3-458-19535-1

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