Rezensionen

Kilian Heck: Carl Blechen und die Bausteine einer neuen Kunst. Reimer Verlag

Carl Blechen (1798–1840) ist ein Landschaftsmaler, der bislang nur Insidern bekannt ist. Seine epochengeschichtliche Schwellenstellung zwischen Romantik und Realismus ließ Künstlerkollegen wie Kritiker ratlos zurück. Manch einer meinte sogar etwas »Dämonisches« in seinen Werken zu entdecken. Kilian Heck räumt mit diesen Vorurteilen auf und erschließt seinen Lesern einen Maler, der es verstand, mit Bildwirklichkeiten zu spielen. Rowena Schubert-Fuß weiß mehr.

Cover © Reimer Verlag
Cover © Reimer Verlag

Der ausgebildete Bankkaufmann Carl Blechen fand erst im zweiten Anlauf zur Kunst und wurde Schüler in der Landschaftsklasse von Peter Ludwig Lütke an der Berliner Akademie. Doch hielt er sich mit der Theorie nicht lange auf. Schnell zog es ihn in die freie Natur, wo er Skizzen und Ölstudien erstellte, beeinflusst durch einen Besuch in Dresden, wo er vermutlich den norwegischen Maler Johan Christian Clausen Dahl traf, einem engen Freund Caspar David Friedrichs. Über die Vermittlung von Karl Friedrich Schinkel wird Blechen 1824 für mehrere Jahre als Dekorationsmaler am Königstädtischen Theater eingestellt. Nach einem Streit mit der Operndiva Henriette Sontag schulterte er jedoch seinen Malkasten, nahm Staffelei und Skizzenblöcke und zog nach Italien. Dort wanderte er 1828/29 mit Malerkollegen durch die Campagna und schuf seine prägnantesten Werke. Kaum zurückgekehrt, nahm er die Stelle seines ehemaligen Professors an der Kunstakademie an, die er bis zu seinem frühen Tod behielt.

Man sollte meinen, dass diese Biografie doch einen glücklichem Menschen beschreibt, der sein Auskommen mit künstlerischen Arbeiten findet. Umso verwunderter liest man daher einen Bericht des Nervenarztes Dr. Horn, der 1840 feststellte, »[…] dass dieser geschickte Künstler allerdings in einem bedeutenden Grade von Seelenstörung sich befindet «. So vergesse Blechen beispielsweise nach der Lektüre von Briefen seiner Frau, »was in denselben gesagt ist«. Ferner »sucht er wie ein Kind Scherben zusammen, wickelt sie sorgfältig ein und steckt sie in die Tasche, […] setzt beim Gehen die Füße über Kreuz, sobald er einen blanken Gegenstand erblickt« ...

Meeresküste mit Pinie im Vordergrund, Öl auf Papier, 14,6 x 20,8 cm, Staatliche  Museen zu Berlin – Kupferstichkabinett
Meeresküste mit Pinie im Vordergrund, Öl auf Papier, 14,6 x 20,8 cm, Staatliche Museen zu Berlin – Kupferstichkabinett

Welche Art von psychischer Erkrankung sich hinter diesen diffusen Beschreibungen verbirgt, bleibt ungeklärt. Carl Blechen lässt sich in keine Schublade stecken. Als Landschaftsmaler bezieht er sich motivisch und inhaltlich auf die Romantik. In der malerischen Umsetzung weist er jedoch über seine Zeit hinaus. Max Liebermann würdigte sein Ingenium in seinen 1942 posthum veröffentlichten Memorabilia, in denen er über Blechen schrieb, dass »das Genie vor allem naiv sei«. Denn, so Liebermann weiter, »er malt ja nicht die Wirklichkeit, sondern die Vorstellung von der Wirklichkeit«.

Obwohl Kilian Heck seine Studie zum Maler mit obiger Schilderung seiner Krankheit und dem daraus gespeisten Geniekult beginnt, ist dies lediglich als stilistisches Mittel zu werten – eröffnet ihm dieses Vorgehen doch die Möglichkeit, das Thema zwar anzusprechen, sich aber gleichzeitig davon abzugrenzen. Nüchtern und sachlich spürt Heck Blechens Art und Weise nach, seine Umgebung wahrzunehmen, zu zeichnen und zu malen. In 17 Kapiteln analysiert der Autor ausführlich und präzise die einzelnen Werkgruppen und ihre Charakteristika, wobei er Wert auf die genaue Beschreibung von Farb- und Lichtsituationen, Sichtachsen und Linienführung legt.

Ruine einer gotischen Kirche im Walde, um 1834,  Bleistift und Wasserfarben, 37,2 × 25,8 cm, Staatliche  Museen zu Berlin – Kupferstichkabinett
Ruine einer gotischen Kirche im Walde, um 1834, Bleistift und Wasserfarben, 37,2 × 25,8 cm, Staatliche Museen zu Berlin – Kupferstichkabinett

Bereits Friederike Sack kommt in ihrer Dissertation von 2007 zu dem Schluss, dass »Blechens Landschaften nicht vordergründig einen intellektuellen Inhalt transportieren, der sich aus einem dringlichen kunsttheoretischen Anliegen formierte. […] Seine Werke sind somit in erster Linie Ergebnisse rein bildimmanenter, maltechnischer oder wahrnehmungspsychologischer Problemstellungen, in Farbstellung oder Komposition«.

Damit ist Blechen ganz Kind seiner Zeit. Aufgrund von Fortschritten in Naturwissenschaft und Technik konzentrierten sich Künstler im frühen 19. Jahrhundert in ihren Arbeiten auf den Prozess der Aneignung und Wiedergabe der sichtbaren Welt. Hiervon profitiert wiederum v.a. die Landschaftsmalerei und erfährt eine enorme Aufwertung. Es wurde unterschieden zwischen einer erhabenen Landschaft und einem idyllischen Ideal, da erstere eben nicht nach einem begrifflichen Schönheitsprinzip funktionierte, sondern über rhetorisch-narrative Verknüpfungen zwischen Bildgeschehen, Landschaftsstimmung und Betrachterwirkung.

Welch harsche Kritik Blechen dafür erhielt, dass er sich dieser neuen Kunstauffassung verschrieben hatte, macht eine Besprechung von »Nachmittag auf Capri« (um 1829) deutlich, die 1833 in der Zeitschrift »Museum« erschien: »Dieser Nachmittag auf Capri, der vor lauter Sonnenhelle undeutlich, bei aller Simplizität der Massen zerbröckelt, bei aller Eintönigkeit befreiend ist […] : dies ist kein seelenvolles Angesicht der Natur […], was die Natur in dieser Vermummung will, so sehen wir bloß die Maske, und dies kann schauerlich oder fratzenhaft, aber nicht schön sein.«

Dass sich im Licht der italienischen Sonne etwas Neues anbahnte, wird auch in den Skizzenbüchern von der Amalfiküste und Pompeji deutlich. Indem Blechen die Gegenstandskonturen allein durch Farbkontraste zu generieren begann, hinterfragt er jede Naturwahrheit. Heck spricht in diesem Zusammenhang von einer»autopoietischen« Art und Weise, wie sich die Farbe entfaltet. Auch in den nur wenig später geschaffenen Palmenhausbildern entsteht durch die Gegenüberstellung von wilder Natur und den im Vordergrund deutlich sichtbaren Lüftungsgittern der Räumlichkeiten ein Bruch, der die Artifizialität des Ganzen betont.

Landschaft mit Brücke bei Narni, Öl auf gelblichem, hellbraun grundierten Papier, 21,1 x 30,2 cm, Staatliche  Museen zu Berlin – Kupferstichkabinett
Landschaft mit Brücke bei Narni, Öl auf gelblichem, hellbraun grundierten Papier, 21,1 x 30,2 cm, Staatliche Museen zu Berlin – Kupferstichkabinett

In der bisherigen Forschung hat man diesen Umstand auf Blechens Tätigkeit als Theatermaler zurückgeführt. Doch muss man sich fragen, ob nicht mehr dahintersteckt.

Spannend ist seine Motivmontage in »Tarantella« (um 1835). Wir sehen eine Szene am Hafen. Während ein Mönch, der den Blick in die Ferne über das Meer schweifen lässt, in sich gekehrt auf der Kaimauer sitzt, spielt eine Gruppe von Tänzern neben ihm fröhlich auf. Der Gegensatz könnte kaum größer sein: die Weltabgewandtheit des Mönchs, der gleichzeitig Teil des prallen Lebens ist. Gert Streidt, Chef des Museums Schloss Branitz, wo sich die umfangreichste Sammlung von Werken des Künstlers befindet, führte diese von Blechen beliebten Brüche des Narrativs in einem Interview im Tagesspiegel 2014 darauf zurück, dass Blechen »stärker Romantiker als Realist [war] und er wohl in der Landschaft den adäquaten Ausdruck für seine Seelenzustände [fand]«.

Auch Kilian Heck ist vor einer solchen Psychologisierung der Blechenschen Arbeiten nicht gänzlich gefeit, wenn er bemerkt, dass Blechens Verhalten in der Nervenheilanstalt, genannt sei hier das Sammeln einzelner Scherben, die zu einem ehemals vollständigen Objekt gehörten, gespiegelt wird in Übermalungen und Verwerfungen, welche sich in den späten Skizzen und Gemälden finden. Als Beispiel wird »Italienische Küstenlandschaft mit sitzender Frau« (um 1837) aufgeführt, wo ein ursprünglich erkennbarer, absterbender Baum mit einer Küstenlandschaft überdeckt und eine vollständige Konturierung der sitzenden Frau vermieden wurde. Dies deute, ebenso wie die skizzenhafte Ausführung von »Haus und Garten« (1838) auf eine Aufgabe des Künstler-Ichs hin, so Heck.

Resümierend lässt sich feststellen, dass in den Werken Carl Blechens nach seiner Italienreise Elemente romantischer Bildschau in ganz einzigartiger Weise mit einem neuen Gefühl für Sachlichkeit und Dinglichkeit verschmolzen.

Folgerichtig ist Kilian Hecks Beschäftigung mit dem Künstler nicht nur eine auf Ikonografie und Ikonologie gestützte Abhandlung. Vielmehr lädt er jeden kunstinteressierten Leser dazu ein, ihm auf dem Pfad zu folgen und mit der Frage zu beschäftigen: wie können Bilder betrachtet werden?

Das schöne Format des Buches, welches sich wunderbar aufschlagen lässt, sowie die zahlreichen locker gestreuten Farbabbildungen gestalten diese Lektüre äußerst angenehm. Wer Carl Blechen und die Bausteine der neuen Kunst zu Beginn des 19. Jahrhunderts für sich entdecken möchte, ist die Publikation daher sehr zu empfehlen.

Ausstellungstipp:
»Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften«, noch bis 4. August 2024 in der Alten Nationalgalerie Berlin.

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